Stehenbleiben

Franziska Hauenstein, 08.09.2021

Seit ca. zwei Jahren hat Nero angefangen, plötzlich und aus heiterem Himmel immer wieder stehen zu bleiben auf unseren Spaziergängen und mich anzustarren. Anfangs war es einfach ein bisschen nervig, mit der Zeit wurde es aber immer mehr und es hat angefangen, eine richtige Herausforderung für mich zu werden. Vor ca. einem Jahr wurde es dann so extrem, dass unsere Spaziergänge oft gar keine Spaziergänge mehr waren sondern eher ein immer wieder Stehenbleiben. Neros Botschaft war klar: „Bleib stehen.“ Er ist ja mein Käptn Now und fordert mich immer wieder auf, in den jetzigen Moment zu kommen – aber diese „Stehenbleiben-Botschaft“ kann ich erst jetzt in ihrer ganzen Tiefe erfassen…

 

Ich bin in meinem Leben schon 13x (!) umgezogen. Bis auf 1x war es immer, weil ich entweder meine Ruhe nicht hatte oder mich nicht sicher gefühlt habe in meinem Zuhause.

Auch hier, wo ich jetzt seit sieben Monaten wohne fühle ich mich gestört durch die Nachbarn und war schon wieder auf Wohnungssuche…

Vor einigen Wochen, als ich am Abend nochmals mit Nero raus ging, habe ich seit langem wieder mal in den Sternenhimmel geschaut und genau in diesem Moment eine Sternschnuppe entdeckt… sofort habe ich innerlich meinen Wunsch formuliert: „Ich wünsche mir ein ruhiges, sicheres, wunderschönes Zuhause…“ und eigentlich wollte ich nur das denken, aber dann ist aus der Tiefe noch hinterhergekommen: „Ein ruhiges, sicheres und wunderschönes Zuhause IN MIR“ und plötzlich habe ich so deutlich wie noch nie gesehen, dass ich vor allem auf der Suche nach meinem inneren Zuhause bin, dass das, was ich im Aussen suche, auch und vor allem in mir zu finden ist.

Soweit so gut… tolle Erkenntnis, aber wohl fühlte ich mich deswegen noch nicht in meiner Wohnung. In den vergangenen Wochen war ich darum weiter auf Wohnungssuche, hatte aber innerlich einen grossen Widerstand, jetzt umzuziehen.

 

Gestern Morgen während der Morgenrunde im Wald erkenne ich plötzlich den ganzen Zusammenhang mit diesem „Stehenbleiben“… Oh, mein Gott - ich war die ganze Zeit auf der Flucht… wie eine Gejagte bin ich von einem Zuhause zum nächsten gerannt, ständig auf der Flucht vor Geräuschen und Situationen, aber eigentlich auf der Flucht vor meinen Gefühlen… Der Weg nach Hause führt aber nach Innen, IN meine Gefühle, nicht weg davon… doch wie soll ich die Haustüre zu meinem inneren Zuhause erkennen, wenn ich wie ein D-Zug daran vorbei rase?

Seit einiger Zeit schon habe ich das innere Bild, wie ich mich einfach hier auf den Boden lege und aufhöre zu rennen… wie ich mich ergebe…

„Mein geliebter Nero-Engel! Wir bleiben! Ich möchte ganz hier sein, bei dir Nero, ich möchte unsere letzte gemeinsame Zeit ganz entspannt und bewusst verbringen – nicht auf der Flucht, zwischen Umzugskisten und stressigen Tagen… ein Umzug würde wieder alles aufwirbeln, durcheinander bringen und hinauszögern…. Deine Botschaft ist endlich angekommen – entschuldige, dass es so lange gedauert hat. Ich höre jetzt auf zu rennen, bleibe „stehen“ im jetzigen Moment, fühle, was es zu fühlen gibt und komme nach Hause…..“

 

Im Prinzip lehrt mich mein Hund die tiefste und wichtigste Lektion, die es überhaupt zu lernen gibt: So wie Buddha sich damals unter den Bodhi-Baum gesetzt hat und einfach alles angenommen und vorbeiziehen hat lassen, was gekommen ist, weder gegen etwas gekämpft, vor etwas geflüchtet, noch etwas festgehalten hat, sondern einfach beobachtend und still hier blieb, inmitten des Geschehens, aber unberührt davon und so das Ende des Leidens fand – und zu Hause in sich ankam...

Ja, das können Tiere – uns nach Hause begleiten – sie können das, wenn wir sie lassen…

Heute Morgen auf dem Spaziergang läuft Nero übrigens wie ein junger Hund… kein einziges Mal stehenbleiben…

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